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Malereien gegen die unbarmherzige Kälte einer fremden Grammatik
Ich erinnere mich noch, wie mir Erdoğan erzählte, dass er nach Berlin reisen wollte, um die Stadt zu erleben und in ihr zu arbeiten. Das nächste was ich von ihm hörte war, dass er kurz nach seiner Ankunft einen zweijährigen Mietvertrag für ein großräumiges Atelier unterzeichnet und sich nun dort, neben Istanbul, einen Zweitwohn- und Arbeitsplatz eingerichtet hat. Ich war überrascht, aber nicht verwundert, denn diese spontane und radikale Idee passt zu ihm. Er weiß, was er will, und was er will, setzt er um. Diese Entschlossenheit spiegelt sich naturgemäßes auch in seinen Bildern wieder, in denen er mit heftigem Duktus unheimliche Welten auf zumeist großen Formaten entwirft. Ja, er ist ein wahrhaft kraftvoller Maler, der ohne zu zögern, Geschichten von Figuren erzählt, die uns gleichzeitig vertraut und dennoch fremd erscheinen. Die Protagonisten seiner Werke haben allerdings wenig Zeit, sich dem Betrachter mitzuteilen, da sie häufig nach ihrer Entstehung vom Pinselduktus zerstört werden, um danach in einem Meer von düsteren Farbtönen zu versinken. Diese Dichotomie aus Konstruktion und Destruktion gibt seinen Arbeiten eine besondere Stärke. Wir glauben Dinge zu erkennen und sehen doch meist nur Ansätze von Realitätspartikeln, die hinter malerischen Gesten, Farbfeldern und Drippings aufblitzen, um im nächsten Moment wieder im Chaos der Komposition zu verschwinden. In den komplexen Bildstrukturen blitzen immer wieder fragmentale Figuren auf, die verloren in zerbrochenen Landschaften stehen. Diese scheinen in einen Dialog mit dem Betrachter treten zu wollen. Jedoch umgibt die Protagonisten eine unheimliche Einsamkeit und Stille, welche sie zwingt, ihre Geschichte für sich zu behalten.
1. Geschichte
Diese Einzelausstellung des 1970 in der Türkei geborenen Malers, der einen Großteil seines Lebens in Istanbul verbracht hat, ist die erste außerhalb seines Heimatlandes. Dort ist er in den letzten Jahren zu einem der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen Malerei geworden, weshalb seine Werke in wichtigen Sammlungen zu finden sind. In seinem früheren Werk und in Ausstellungen wie Ya da (Oder) in der Galerie Pi-Artworks machte er sich einen Namen mit großformatigen Werken, die eine wundervolle Balance zwischen Abstraktion und Figuration zeigten. Malerisch passt er in die Tradition von Eugen Schönebeck und den frühen Baselitz, welche er kennt und schätzt. Auch in der Schule der Neo-Expressionisten fühlt er sich wohl. Allerdings ist sein Werk abstrakter und fragmentaler als das der figurativen Expressionisten nach 1950.
Sein Werk bewegt sich von Anfang an zwischen spontanem Gefühl und kalkulierter Rationalität und weist trotz emotionaler Expressivität ein sozialpolitisches Engagement auf. Zümrütoğlu diskutiert in seinen Bildern Themen wie den Terror der RAF (Uzak bir Alman için Requiem, Requiem für einen entfernten Deutschen, 2008) und innerpolitische Probleme (Kuyu, Brunnen, 2009), die gegenwärtig die türkische Gesellschaft beschäftigen. Der Künstler wählt dabei oft die Rolle des kritischen Beobachters, der mit schweren Pinselstrichen düstere Visionen einer zerbrochenen Welt entwirft. In dieser stellt er fast immer menschliche Figuren dar, die in einem dunklen kellerartigen Innenraum verzweifelt ihre Geschichte mitteilen wollen. Seine Arbeiten sind aufwühlend, dreschen auf die Sinne des Betrachters ein und ziehen ihn mit beindruckenden, einem aufgewühlten Meer gleichenden Farbflächen in ihren Zog. Dort versinkt der zusammen mit den Figuren in den Tiefen des Bildes.
Zümrütoğlu‘s Arbeiten haben eine physische Direktheit und Extreme. Die Bewegungen des Künstlers während des Malprozesses übertragen sich direkt auf die Leinwand, weshalb seine Malerei die Existenz ihres Urhebers sowohl intellektuell als auch physisch nachvollziehbar macht. In diesem Sinne, kann eine Verbindung zu Artaud, den er verehrt und welchem er bereits zwei Ausstellungen gewidmet hat, hergestellt werden. Mit ihm teilt Zümrütoğlu das Interesse an der Herstellung einer existenziellen Sprache des menschlichen Körpers. Immer wieder stellt er Referenzen und Bezüge zu andere Größen aus der Kunst- und Kulturgeschichte in seinem Werk her. So malte der Künstler unter Anderem Portraits von Thomas Bernhard, mit dem er die Versuche, menschliche Schwäche unbarmherzig zu entblößen, teilt. Daneben liebt er Stockhausen und Phillip Glas, mit denen er das Interesse am geordneten Chaos des Lebens teilt.
Das Interesse am Geschichtenerzählen führt bei Zümrütoğlu zur Arbeit in Serien, der Verwendung des Triptychons und die fragmentale Benutzung von Worten und Setzen. In diesen findet er die Möglichkeit ein Problem, in verschiedenen Versionen zu untersuchen und unterschiedliche narrative Momente zu erschaffen. Dabei ist es wichtig noch einmal zu unterstreichen, dass seine Gemälde, die oftmals auf wahren Begebenheiten beruhen, auch wenn sie gar Text benutzen, niemals repräsentativ oder explizit, sondern subversiv und dekonstruktiv sind.
2. Situation
Die Titel der aktuellen Ausstellung spielt auf Erdoğan Zümtütoğlus gegenwärtige Situation hier in Berlin an. Er lebt nunmehr in einer ihm noch fremden Stadt, arbeitet mit einer Berliner Galerie und hat Freunde, die seinen Aufenthalt angenehmer machen. Jedoch spricht Zümrütoğlu kaum Deutsch und muss sich daher hier wortkarg verständlich machen. Somit ist seine so produktive und wichtige Phase in Berlin auch durch eine immer gegenwärtige Einsamkeit geprägt. Dabei tritt ein Eingesperrt sein im eigenen kulturellen System und das dadurch bedingte Ausgesperrt sein von der Teilnahme an anderen zu Tage, wodurch im Alltag vorher unbekannte Grenzen und Barrieren auftauchen. Auch die Beobachtung der eigenen Landsleute, welche er als zwischen der deutsche und türkischen Kulturen stehend erlebte, haben zu der Auseinandersetzung mit Sprache, Kultur und Zugehörigkeit geführt. Diese Situation, unterstützt durch die Tatsache, dass Berlin eine ehemalige Mauer- und Grenzstadt ist, führte zu der Einführung des Gitters bzw. Rasters in sein Werk. In Gemälden wie z.B. ??? malt Zümrütoğlu über den gesamten Bildvordergrund ein schwarzes Gitter, welches den freien Blick auf die dahinter liegende Landschaft verwehrt. Wir als Betrachter müssen nun entscheiden, ob wir vor oder hinter dem Zaun stehend auf die Landschaft schauen. Ein Spiel mit Eingeschlossen und Ausgeschlossen sein wird in dem Werk getrieben. Jedoch wirkt dieses das Bild zerteilende und die Abbildung verdeckende Gitter nicht wie ein Fremdkörper. Da es mit dem gleichen Duktus, der gleichen Farbigkeit und der gleichen formalen Qualität gemalt ist, fügt es sich in das Gesamtbild ein. Auch die Lichtspiegelungen auf dem Gitter passen zur malerischen Ästhetik und verleihen dem Werk eine Dreidimensionalität. Das Gitter bzw. Raster ist seit den modernen Avantgarden um Piet Mondarian ein Ausdruck des Willens die Komplexität der Welt auf Muster der Logik zu reduzieren, um sie kategorisierend verstehen zu können. Daher folgt das Raster der Ratio und unterteilt die Welt in Abschnitte, deren Bedeutung sich dann in unterschiedlichen Erkennungsmustern wiederspiegelt. Bei Zümrütoğlu ist das Muster sowohl narrativ als auch konzeptionell zu deuten. Es ist Teil der Geschichte des Werkes und gehört zur inneren, narrativen Bedeutung des Bildes. Darüber hinaus hat das Raster auch bei ihm eine rationelle Bedeutung, die auf die Kompositionswirkung wirkt. Mit Hilfe des Gitters bringt er zusätzlich Spannung in die Komposition und schafft darüber hinaus klare Unterschiede zwischen Vorder-, Mittel und Hintergrund. dadurch werden die einzelnen Ebenen auch außerhalb ihres formalen Kompositions- und narrativen Sinnzusammenhanges untersuchbar.
Das Raster weißt auch auf einen Charakter seines Werk hin, der schon in seinen Anfängen zu finden war: Die gleichzeitige Entwicklung und Zerstörung von Figuren. Doch im Gegensatz zu früheren Arbeiten, wo der Protagonist unter abstrakten Farbbahnen und gestischen Pinselstrichen begraben wurde, treten gegenwärtig keilförmige Element auf, die von den Bildrändern spitz zulaufend zum Bildzentrum streben, im Bildmittelgrund befindliche Objekte überlagern und so wirken, als würden sie das Dargestellte versuchen zu zerteilen. Die Keile erscheinen wie Bedrohungen von Außen, die auf die Figuren im Bildinneren zulaufen. Die an sich abstrakten Formen gleichen Spuren von Prankenhiebe, die von Schlägen auf das Bild und seine Protagonisten zeugen. Die Keile zerschneiden nicht nur die Bilder, sondern verschleiern auch häufig die Identitäten der Figuren, da sie über ihre Gesichter und Körper laufen.
Die Protagonisten selbst sind meist nur wage erkennbar und erinnern eher an Gespenster oder Wahnvorstellungen von Figuren. Ihre Details oder feste Konturen sind nicht ausmachbar, so dass die sie meist mit dem Bildgrund und anderen Elementen im Bild ineinander verwoben sind. Die Figur steht daher nicht vom Grund ab, sondern ist im Mittelgrund verankert. Sie weißt die gleiche malerische Qualität auf, ist mit dem gleichem Duktus gemalt und besitzt die gleiche Farbpalette. Dennoch löst sie sich niemals völlig im Farbenstrudel auf, sondern behauptet trotzig ihre Existenz. Ein wichtiger Grund für das Überleben der Figur sind ihre Außenlinien, die ihr Zümrütoğlu gibt. Bei genauerer Betrachtung seiner Arbeiten fällt daher, neben ihrer malerischen, ihre grafische Qualität auf. Oft benutzt er den Pinsel wie einen Stift. Mit diesem zeichnet er schwarze Linien in und entlang der Figur, wodurch sich diese wenigstens zum Teil von den fließend gemalten Farbflächen und den filigranen Drippings absetzen können. Darüber hinaus verleiht er der ihr häufig eine besondere Plastizität durch den dicken Auftrag von pastöser Ölfarbe, wodurch sie sich auch physisch von der Umgebung absetzt.
Insgesamt fällt der im Vergleich zum früheren Werk stärker grafische Charakter der aktuellen Arbeiten auf. Der Gebrauch des Rasters, der Einsatz von schwarzen Außenkonturen und der nunmehr immer wieder kehrende von weiß bis zu fast monochrom reichende dunkle Hintergrund unterstreichen dies. In der Tat erscheinen die gegenwärtigen Arbeiten schlichter als die früheren, was dadurch bedingt ist, dass der Hintergrund nicht mehr so fragmental, sondern in einer homogenen Farbskala gehalten ist.
In der Ya Da-Serie befanden sich die Protagonisten seiner Arbeiten in kellerartigen Innenräumen. Diese waren dunkel und unheimlich. In der aktuellen Serie befinden sich die Figuren in einem abstrakten Außenraum. Dieser wirkt zwar immer noch äußerst düster, ist allerdings nunmehr offener und unbestimmter. Neben einem völlig abstrakten Bildhintergrund setzt Zümrütoğlu seine Figuren nun häufiger in landschaftartige Umgebungen. Sie stehen allein im Bild, sehen verloren aus und erscheinen, als ob sie nicht wüssten, was als nächstes mit ihnen geschieht. In früheren Arbeiten waren die Figuren wenigstens in Handlungen oder in Aktionen mit anderen Figuren verwickelt. Nunmehr versuchen sie allein, sich im Chaos ihrer Existenz zurecht zu finden.
3. Zukunft
Der gegenwärtige Zustand seines Werkes verspricht einiges positives für die Zukunft. Erdoğan Zümrütoğlu schafft es, seine Arbeit kontinuierlich und sowohl inhaltlich als auch konzeptionell stringent voranzutreiben. Somit besteht eine starke Verbindung zwischen den einzelnen Serien der vergangenen Jahre, in denen er eine individuelle Handschrift entwickeln konnte. Diese verbindet die Bewegungen der Figuration mit denen der Abstraktion, um eine kraftvolle und zeitgenössische Synthese zu schaffen. Darüber hinaus sind seine Arbeiten nicht introvertiert, sondern behandeln Themen der unmittelbaren Gegenwart, welche sie sowohl reflektieren als auch kritisieren. Seine Figuren sind dabei Protagonisten unserer Welt, die stellvertretend für uns Leid und Furcht durchleben. Seine Bilder beinhalten somit auch eine subversive Katharsis, die auf den Betrachter einwirkt und die Emotionalität der Werke ausmacht. Die besondere Stärke Zümrütoğlus dabei ist, die Gemälde nie aufdringlich, didaktisch oder polemisch wirken zu lassen. Durch ihre malerische und kompositorische Gebrochenheit, die klassische Bildzusammenhänge bewusst verneint und sprengt, entstehen unfertige und unvollständige Werke, die durch das geistige Auge des Betrachters vervollständigt werden müssen. Dadurch hat er die Möglichkeit an der Gestaltung der Bildwelten Zümrütoğlus teilzunehmen und seine eigenen Vorstellungen in die Arbeiten einzubringen. Der Betrachter wird also aktiviert und aus seiner passiven Rezipientenhaltung gelockt.
Somit schafft Erdoğan Zümrütoğlu ein zeitgenössisches Werk, welches mit den Errungenschaften verschiedener Stile der späten Moderne spielt und über einen puren Eklektizismus hinausgehend, auch durch sein sozialpolitisches Engagement, Erneuerungspotentiale in das Feld der Malerei einbringt. Das besondere dabei ist, dass es sowohl durch seine direkte Ästhetik als auch durch seine erschütternden Inhalte den Betrachter berührt, weshalb seine Malereien sowohl den Intellekt als auch das Herz bewegen.
Dr. Marcus Graf