Publikationen
Christoph Tannert, Berlin 1.12.2017:
Rede zur Ausstellungseröffnung Harald Gnade: Romantic Outings. Malerei / Herbert Mehler: Dedicato Brancusi. Cortenstahl-Skulpturen
Diese Ausstellung ist wie ein Naturereignis. Sie bricht über einen herein. Die Skulpturen führen den Blick in die Höhe. Die Bilder von Harald Gnade saugen ihn in die Tiefe. Mehler ist monumental. Gnade ist subtil. Der eine stellt Behauptungen in den Raum, der andere tastet sich an Einsichten heran. Hier das Fundamentale. Dort das Poetische. Mehlers Skulpturen sind ein Big Bang der Bildhauerei und endgültig. Die Bilder von Gnade machen Zwischentöne sichtbar. Mehler operiert mit Platzhaltern. Ein nach oben strebendes Bekenntnis, das Mehler andeutet, und der intimste Ausdruck lyrischer Subjektivität bei Gnade gehen zusammen. Gnade hat die Fähigkeit, selbst das Gewicht der winzigen Nuancen noch sorgfältig abzuwägen. Bei allem Dschungelhaften dieser Schau steckt in ihr ein gewaltiges Stück Sehnsucht, vielleicht nach einem Anderswerden des Menschen. Nach Natur und dem Natürlichen. Beide Künstler deuten mehr an als dass sie erklären. Ihre Werktitel geben allerdings bestimmte Richtungen vor. Bei Mehler: Dedicato Brancusi, Plantula (Keimling), Fuso (Zapfen), Zucchina. Es ist nicht zu übersehen, dass sie in Verbindung zu den Kunstformen der Natur stehen. Wir assoziieren Pflanzenstengel, Fruchthüllen, Knospen, das Biomorphe, hartnäckig wie der Schachtelhalm. Das ist das Bleibende in der Evolution. Bei Gnade lauten die Titel: Microflower, Arkadien, Copynature, Naturkopie, Romantic View (Hommage an Caspar David Friedrich). Mir kommt es so vor als seien sie die Umschreibung einer gewissen melancholischen Verlorenheit, als hörten wir sie als Signale von Menschen, die sich, wie wir alle, augenblicksweise eingekreist fühlen und unbestimmt aus dieser Umzingelung ins Offene hinausstreben – in Urzusamm. (H.M. Enzensberger, Grünes Madrigal)
Beide Künstler machen Andeutungen. Etwa, dass Photosynthese und Zellteilung wichtiger seien als Gehirn, Herz und Blut. Nicht Festkörper sondern Luftwurzeln. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht dass Mehler und Gnade versuchen würden, versucht hätten, leicht zu sein, virtuos, geistbetont. Im Gegenteil. Sie wollen herzlich schwer sein. Aussagestark. Tiefsinnig raumgreifend. Philosophisch geerdet. Unironisch. Wohlig gerundet in ihrer romantischen Sehnsuchtsperspektive. "... nicht die äußere Form ist wirklich, sondern das Wesen der Dinge...", sagt Constantin Brancusi, der als Rumäne geborene französische Bildhauer. Mehler pflichtet ihm bei mit seinen hochaufragenden Meisterstreichen. Und plötzlich öffnen sich alle Schleusen in Raum und Zeit, die Feier des Hierseins beginnt.
In ihren Raumerkundungen sind Gnade und Mehler Romantiker, die von der Sehnsucht ausgehen, von den verlorenen Erkenntnismühen einer im Kern romantisch gebliebenen Aufklärungskultur, die nichts anderes will, als zurückfinden zu sich selbst. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. Die Bilder von Harald Gnade bieten Raum für vieles. Nicht allein das malende Ich hat darin Platz, sondern auch das denkende und forschende. Er bindet unsere Aufmerksamkeit damit, dass er sie auf die Naturlandschaft, auf eine zeitgenössische Art der Landschaftsmalerei lenkt, die sich auch mit der abstrakten amorphen Einzelform beschäftigt. Dabei nimmt er diverse kunsthistorische Bezüge auf und paraphrasiert sie. Caspar David Friedrich gilt ihm erwartungsgemäß als Fixstern, dem er aber mit seiner ganz eigenen Programmatik entgegentritt, nämlich dem Gegensatz, aber auch der Gleichzeitigkeit von Lackflächen (als dem Verschluss von Raumperspektiven) einerseits und offenen Raum-Illusionismen andererseits. Gnade zeigt Werke aus der Produktion der Jahre 2014-2017, die sein flexibles Sehen und Verstehen unterstreichen. In seinen Bildern liebt er es, in der Schwebe zu bleiben. Mal glänzen sie, dann sind sie wieder matt, mal betont er die Oberflächenkonstitution, dann orientiert er auf Tiefe, mal sind wir konfrontiert mit Landschaft als einem rhizomatischen Konstrukt, dann mit dem Landschaftsfragment, erst begegnen wir dem auf der Hand Liegenden, und dann geht es um das Geheimnisvolle.
Was kann heute als romantisch gelten? Der Sehnsuchtsblick auf das Naturreservat während des Wellnessurlaubs oder der Blick auf die glänzende Oberfläche des Smartphones, das uns mit den Segnungen und Verführungen des Medienzeitalters verkettet. Harald Gnades Arkadien liegt dort, wo er auf höchster formaler Ebene anlandet im Unbewussten, wo die unbewusst höchste Lust im Einsatz der Mittel dennoch Ort und Impuls nicht zur Deckung bringen kann. So bleibt ein Rest, der unbestimmbar ist, sei es eine abgerissene Schriftzeile, ein geröchelter Spruch, eine Wurzelwolke. Auf die wirbelnde Frische und das Ungeduldige der Bilder von Gnade antworten die Cortenstahl-Skulpturen von Herbert Mehler mit einer Mischung aus Tektonik und Organik.
Das Element des Wachsens, des In-die-Höhe-Strebens ist das Beeindruckende. Wie Mehler seinen aus metallischen Flächen zusammengefügten Körpern das Lastende nimmt, das ist sein Geheimnis. Sie orientieren sich in ihrem Konvex-Konkav an der Natur. Aber das Besondere ist: sie haben ihre eigene Natur, ihren spezifischen Gestaltumriss, ihre zumeist aufgebauten zylindrischen Körper, ihre klassische Schwellform, ihr Relations-Konzept – all das ist „Parallelnatur made by Mehler“.
Was haben wir nicht alles gesehen in den vergangenen Jahrzehnten, was Kunst im öffentlichen Raum sein sollte. Mehler macht Angebote einer Qualität, die unaufgeregt, minimalisiert, konzentriert aus dem Möglichkeitsalphabet der Postmoderne herauswächst, die erneut eine Konzentration auf die Natur in den Fokus rückt, genauso aber auch in Rundsäulenform denkt, auf subtile Licht-und-Schatten-Wechsel setzt und eine Fusion der Perspektive von Innen- und Außenraum anstrebt. Wir haben es hier mit einer Antithese zu tun, einem Gegenentwurf zu all den Trash-Aufgüssen der infantilen, hedonistischen Hellboys des Kunstbetriebs und einer Hinwendung in die Lautlosigkeit. Das ist wahrlich eine Hommage an den großen Constantin Brancusi. Die Skulpturen von Herbert Mehler sind Solitäre einer Stillstellung von Zeit. Ihr Rosten ist Ausdruck klösterlicher Würde.
Stahl und Farbe in einzigartiger Symbiose
von Werner Tammen, Dezember 2015
"... Herbert Mehlers Skulpturen mit ihrer allseitig identischen Ansichtigkeit ist eine außergewöhnliche Ästhetik eigen. Die einzig mögliche additive und symetrische Anordnung von stets gleich großen Winkelstreifen um einen meist vertikalen Kern bilden einen Raum und eine Plastizität um ihrer selbst willen. Darin besteht ihre Modernität." Dr. Hansdieter Erbsmehl
Mit der neuen farblichen Fassung seiner Stahlskulpturen schließt sich für Herbert Mehler auf gewisse Weise ein Kreis seiner künstlerischen Auseinandersetzungen zwischen Malerei und Bildhauerei. Seine farbliche Feinfühligkeit und Kennerschaft strahlen die neuen Skulpturen aus. Einzigartige Spiegelungen und Spektralreflexionen erweitern die Plastitzität seiner Arbeiten. Das Ergebnis ist ein durch Stahl und Farbe definierter Raum, in einzigartiger künstlerischer und handwerklicher Präzision.
Steel and Colour in Unique Symbiosis
".... Herbert Mehler´s sculptures, identical from every viewing perspective, possess an extraordinary aesthetic. The only possible additive and symmetrical arrangements of fluted strips, always the same size, around a mostly vertical core, form a space and a plasticity all of their own. In here lies the modernity." Dr. Hansdieter Erbsmehl
With the new colour version of his steel sculptures, Herbert Mehler somehow comes full circle in his artistic engagement between painting and sculpture. His sensitivity to and deft handling of colour truly radiate from these new works. Unique mirrorings and spectral reflections expand the plasticity of his works.
The result is a space defined by steel and colour, in unique artistic and technical precision.