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Sinnbilder fragiler Vitalität, Die Malerin Stephanie Pech
Stillleben, in denen Fische, Meeresgetier, Pflanzen, Früchte, Blumen und allerlei Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie handelnde Figuren auftreten, sind das Markenzeichen der 1968 im westfälischen Unna geborenen Malerin Stephanie Pech. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt und arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Bonn. Großformatige Öl- und Acrylbilder von üppiger Farbigkeit entstehen in ihrem lichten Atelier im Stadtteil Kessenich. Zumeist ist dort nur das aktuell entstehende Werk zu sehen, alle anderen Bilder sind weggeräumt, so als würden sie die Konzentration auf die neueste Arbeit stören. Auf den Tischen vor der Fensterfront liegen vereinzelt Skizzen, Fotos, Collagen, erste Entwürfe zu Bildideen, dazu Pinsel, nach Größen sortiert, Farbtuben, Malutensilien – alles wohlgeordnet, um einer an farblicher Präzision und Nuanciertheit in beinah altmeisterlicher Technik orientierten Arbeitsweise zu dienen. Schon früh nach ihrem Studium an der Kunstakademie in Münster hat Stephanie Pech mit ihren großformatigen Kompositionen und deren gleichermaßen subtilen und opulenten Koloristik und oftmals surreal anmutenden, verstörenden Gegenständlichkeit, eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit von namhaften Kunstkritikern und Museumsleuten erfahren. So charakterisiert im Jahr 2002 der damalige Museumsleiter des Bonner Kunstmuseums, Dieter Ronte, ihr noch junges malerisches Werk: „Die Bilder sind nicht einfach gemalt oder aus dem Bauch heraus geschleudert mit der Perfektion einer realistisch begabten Malerin, sondern langsam gefundene, erarbeitete Konstrukte, die ebenso vom Kopf bestimmt sind wie von der malerischen Neugier. Viel Kunstgeschichte ist in den Bildern wiederzufinden, viele unverhoffte Sehweisen von schon bekannten Gegenständen tauchen in einer neuen, intellektuellen Präsenz wieder auf.“ Kunstgeschichtliche Verweise finden sich viele in diesen um die Jahrtausendwende entstandenen Bildern, teils als direkte Zitate von Bildmotiven, zum Beispiel des Renaissancemalers Giovanni Bellini, teils auf eine eher indirekte Einschreibung in malerische Traditionen bewunderter Vorbilder wie Eugène Delacroix, Edouard Manet oder Francis Bacon. Diese Verweise und Bezugnahmen sind kein kunsthistorisches Spiel, kein Selbstzweck, sondern sie deuten an, dass es Stephanie Pech um eine Malerei geht, die nicht voraussetzungslos entsteht, um eine Malerei, die sich neu erfindet vor dem Hintergrund bereits vorhandener koloristischer und kompositioneller Bildlösungen.
Ausgangspunkt Farbe
Von 1988 bis 1995 studiert Stephanie Pech an der Kunstakademie in Münster bei den Professoren J. Zellmann und H.-J. Kuhna, ab 1995 ist sie Meisterschülerin des Malers Hermann-Josef Kuhna. Eine Lehrerwahl, die auf den ersten Blick verwundert, scheint doch H.-J. Kuhna mit seiner pointillistischen Abstraktion, in der aus kleinsten Farbtupfern rhythmisch pulsierende Bildgewebe entstehen, die eine musikalische Wirkung entfalten, dem sachlich-veristischen Blick auf alltägliche Gegenstände, der Stephanie Pechs Bilder auszeichnet, konträr entgegenzustehen. Doch auf den zweiten Blick mag man erkennen, was die angehende Künstlerin an ihrem Lehrer fasziniert hat. Auch sie sucht in ihren Bildern nach Beziehungen und Wechselwirkungen von Farben, die sich gegenseitig steigern können, und dies unabhängig vom wirklichen Aussehen der Dinge, Pflanzen oder Tiere, die sie auf die Bildfläche setzt. Nicht selten hat sogar die Wahl der Farben Vorrang über das Bildsujet, das erst nach dem Festlegen des bildbeherrschenden Farb-Akkordes – oder auch der grundlegenden farblichen Dissonanz - des entstehenden Bildes hinzukommt. „Die Farbwahl passiert bei mir sehr intuitiv. Manchmal ist sogar die Farbwahl zuerst da. Dann suche ich die Gegenstände…Es geht immer so auf des Messers Schneide, so haarscharf dran vorbei, indem ich zum Beispiel ein Karminrot mit Magenta oder Rosa kombiniere. Das ist häufig bis zum
Kippeffekt gesteigert“, erklärt die Malerin im Gespräch. In der Tat steigert Stephanie Pech die Farbkontraste ihrer am Gegenstand orientierten Bildräume oft ins Irreale: komplementäre Kontraste, ein morbides Rosa, schreiendes Rot oder ein seltsam unfassbares Hellblau stoßen unvermittelt aufeinander. Noch bevor der Betrachter das ins Zentrum gesetzte Bildmotiv, eine Muschel, einen Oktopus oder eine Pflanze einordnen kann, hat der Farbklang der gesamten Bildkomposition schon Besitz von ihm ergriffen und eine erste Verstörung hervorgerufen. Diese Relationen von Farben, auch deren psychologische Wirkungen, sind Erfahrungen, die Stephanie Pech aus der Malklasse H.-P. Kuhna in ihre weitere eigene Entwicklung mitnimmt, dazu eine durch vielfältige Diskussionen mit dem Lehrer und den anderen Studierenden geschärfte Wahrnehmung von Umwelt und Gesellschaft. Stipendien, Ausstellungsbeteiligungen und erste Einzelausstellungen schließen sich an die Akademiezeit an. Im Jahr 1999 dokumentiert sie ihre Malerei in einem Ausstellungskatalog, zu dem der zweimalige Leiter der documenta und Professor der Kunstakademie Münster Manfred Schneckenburger das Vorwort beisteuert. Er schreibt: „…der Schein trügt. Die Bilder sind tückischer als der erste Blick enthüllt. Ihre Attraktivität stellt Fallen für Auge und Empathie. Ihre schöne Eindeutigkeit hält dem zweiten Blick nicht stand. Ihre Opulenz wird durch eine Reihe von Ambivalenzen unterlaufen. Nature morte vivante – das heißt hier: Tod und Leben sind auf vertrackte Weisen durcheinandergeraten. Hinter dem farbigen Abglanz tauchen Szenen von Gefährdung und Verwundung hervor. Konträre Welten, die sich eigentlich ausschließen, rücken sich bedrohlich auf den Leib. Nur die komplementäre Bindungskraft der Farben und untergründige Formbeziehungen halten sie zusammen.“
„…schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“
Diese berühmte Gedichtstelle aus den „Gesängen des Maldoror“ des Comte de Lautréamont, eines der wichtigsten Ahnherren des Surrealismus, mag als Schlüssel dienen, um Zugang zu Stephanie Pechs Bildwelten zu bekommen. Die 1874 unter dem Pseudonym des Grafen Lautréamont posthum veröffentlichen Hymnen an das Böse und Grausame stammen aus der Feder des jung verstorbenen französischen Dichters Isidore L. Ducasse. Gerade die zitierte Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch, hatte enorme Wirkung auf die Diskussionen der surrealistischen Dichter und Maler im Paris der 1920er und 1930er Jahre. Es ging ihnen um eine Wiederverzauberung und Verrückung einer allzu rationalen Welt, um eine Einbeziehung des Unbewussten, Traumhaften, auch Albtraumhaften. Was eignete sich besser, als das Zusammenfügen von eigentlich Disparatem, Widersprüchlichen, als ein am Prinzip der Collage orientiertes Verfahren, um das Irrationale und Imaginäre in Wort und Bild darzustellen. Hierfür konnte man sich auf Lautréamont berufen, dessen Verse den Verstand und die Moral zu unterlaufen trachteten. Auch Stephanie Pech bedient sich in ihren Bildern der 1990er und frühen 2000er Jahre einer Art surrealistischen Collageprinzips, indem sie disparate Wirklichkeiten scheinbar logisch ineinanderfügt. Sachlich-nüchtern, fast monochrom gemalte Bildhintergründe werden zu einer Bühne, auf denen merkwürdig ins Monumentale vergrößerte Meerestiere, Pflanzen, Blüten oder auch Keimlinge wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Nur der Mensch ist niemals in diesen Bildern dargestellt, und doch ist er anwesend in menschengemachten Dingen, Requisiten wie Teller, Geschirrtuch, Heizkörper, Elektrokabel, Badewanne , oder auch in einem Kleidungsstück wie dem Oberteil eines Bikinis. Mit außergewöhnlicher Präzision und altmeisterlicher Technik, Farbschicht auf Farbschicht fügend und zuletzt Licht- und Schattenakzente setzend, baut Stephanie Pech ihre zumeist großformatigen Bildszenarien auf. Tintenfische von greifbarer physischer Präsenz, Garnelen und Muscheln von einer verführerischen, beinah erotischen Stofflichkeit,
unübersehbar, fast schon aufdringlich vor den Betrachter gestellt. Und doch seltsam erstarrt, nicht mehr lebendig, mal nur noch Körperhülle, Schale oder Panzer, mal bereits angeschnitten, zum Verzehr, zum Kochen vorbereitet. Die Malerin findet ihre Bildsujets im alltäglichen Leben, beim Einkauf auf dem Markt, beim Zubereiten der Mahlzeiten in der Küche. „Häufig sind das Momentaufnahmen, wie in einem Filmstill, wo ich dann plötzlich den Moment eingefroren und angehalten habe“, kommentiert sie den Prozess der Bildfindung. Dann folgt allerdings die Übertragung dieses Moments in eine durchdachte kompositorische Form. Dabei versetzt sie ihren „Akteur“ oftmals in eine ihm fremde Umgebung. Was hat schließlich der bereits ausgenommene Fisch auf dem empfindlichen Polster eines Sofas zu tun? Und warum liegt der überlang gestreckte Aal wie aufgebahrt auf dem kostbaren Brokat, der aus einem berühmten Gemälde von Giovanni Bellini zitiert ist? Es sind malerische Inszenierungen, denen durchaus etwas Theatralisches, den Bildgegenstand Überhöhendes, aber auch ironische Brechungen zu eigen sind. Neben der Doppelbödigkeit und verstörenden Unlogik des Dargestellten zeigt sich hier, dass es Stephanie Pech vor allem um Malerei geht, um eine rein malerische Lust am Malen von Stofflichkeiten, Oberflächen, an Farbklängen, an der Konstruktion von realen wie imaginären Bildräumen. „Die Künstlerin sucht die Schönheiten des Lebens dort, wo sie zur Metapher des Todes werden. Die Abbilder agieren immer im möglichen Finale des Daseins … Stephanie Pech überschreibt eine alte Tradition mit Heftigkeit in die Zukunft“, konstatiert Dieter Ronte. Eine Feststellung, der auch die Künstlerin selbst gern beipflichtet: „Da bin ich dann doch wieder beim klassischen Stillleben, dieses Werden und Vergehen, diese nature morte, das ist immer in meinen Bildern thematisiert. Es hat auf der einen Seite etwas Liebliches und auf der anderen Seite schleicht sich diese Gemeinheit oder manchmal auch Brutalität rein. Das ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich.“
Nicht alle Akteure auf ihren Bildern findet die Künstlerin mehr oder weniger zufällig in der alltäglichen Umgebung. Manche werden sehr bewusst gesucht und ausgesucht. Die Regenwürmer, die in den Jahren 2003 bis 2007 ein häufig wiederkehrendes Motiv in ihren Gemälden sind, kauft sie in einem Angler-Fachgeschäft. Langgestreckt, manchmal über zwei Bilder verteilt, werden sie überaus gekonnt gemalt, mit ihrer fast körperlich erfahrbaren Feuchtigkeit und Schleimigkeit, riesig vergrößert in oft horizontale Bildformate gestellt. Zugrunde liegen diesen hyperrealistischen Darstellungen oft Fotos, Makro-Aufnahmen, von deren Abzügen und Kopien die Malerin die verschiedensten Farbnuancen extrahiert. Ihre malerische Opulenz beschränkt die Künstlerin nunmehr auf den „Hauptdarsteller“ selbst, den Regenwurm, während sie den Handlungsraum des Bildes weitgehend weiß und ohne räumliche Koordinaten belässt. Stephanie Pech vollzieht in diesen Bildern eine Abkehr vom theatralisch-narrativen Aufbau ihrer bisherigen Bilder, sie verlässt auch den klassischen Bildraum zugunsten einer diffusen, laborhaft unterkühlten Bildsituation. Einzig eine nicht wirklich auflösbare Farbaura, die unmöglich ein Schatten, eher schon die Spur des Lebewesens auf dem Untergrund zu deuten ist, gibt dem Auge des Betrachters einen gewissen Halt. So wird der Regenwurm, riesig in seiner Vergrößerung und ausdrucksstark durch seine morbide Farbigkeit, zu einem Sinnbild von Leben und Lebenskampf im Angesicht des Vergehens, des Todes. Das alte Thema der Vanitas, des Erinnerns an die Vergänglichkeit im Moment der größten Pracht und Lebensfülle, erfährt in den Regenwurm-Stillleben eine moderne Ausprägung. Das Leben selbst – versinnbildlicht in einer seiner kaum jemals beachteten, niedersten Kreaturen.
Dynamisierung des Bildraums
Reduzierung des Bildraums, Isolierung des Bildgegenstands, Zurücknahme der malerischen Ausstattung – es ist der Wunsch nach einer weniger statischen, linear erzählenden Bildform, der in den Regenwurmbildern und verwandten Bilderserien deutlich wird – all diese künstlerischen Maßnahmen sind Belege für die Suche der Künstlerin nach einer Neuorientierung ihrer Malerei, die sich in den vergangenen zehn Jahren Bahn bricht. Aus den zarten Farbschleiern, die wie ein Schatten oder eine Aura die Bildgegenstände umgibt, werden nun gestische Farbspuren von einer eher informellen, kaum deutbaren Struktur. Der Bildraum wird aufgebrochen, die dynamisch die Bildfläche überziehenden Farbspuren und Farbschlieren bringen einen eigenwilligen malerischen Kontrapunkt ins Bild. Auch hier bedient sich Stephanie Pech eines kunstgeschichtlichen Zitats. Ende der 1950er Jahre hatte der Maler und Performer Yves Klein nackte, mit Farbe am ganzen Körper bemalte Frauen ihre Körper auf große zurechtgeschnittene Papiere oder Leinwände abdrucken lassen. Der Künstler dirigierte den gesamten Vorgang, der nach und nach vor immer größerem Publikum mit immer mehr Modellen, zum Teil von Orchestermusik begleitet, aufgeführt wurde. Kleins „Anthropometrien“ greift Stephanie Pech wieder auf. Auch sie bedient sich eines Modells, einer Tänzerin oder Schauspielerin, welche die zuvor überall auf dem Körper verteilte Farbe auf die am Boden liegende Leinwand abdruckt. Doch hier ist der Vorgang ein gänzlich privater, nicht auf ein Publikum gerichteter. Es geht Stephanie Pech nicht um ein Event, sondern um das Aufbrechen einer zu starr gewordenen Bildordnung. Die Bewegung des Modells auf der Leinwand ist dabei wichtig, wie auch der letztlich vom Zufall mitbestimmte und somit nicht völlig zu kontrollierende Auftrag der Farbe durch den Abdruck des Körpers. Eine erste Spur, eine Markierung, ist ins Bildfeld gesetzt, ihre grobe Textur und ihre nicht komponierte, informelle Form geben der Künstlerin eine Vorgabe, in die sie mit ihrer feingliedrigen, präzisen Malerei hineinarbeiten kann. Die Körperabdrucke, auch von Stephanie Pech als Anthropometrien bezeichnet, werden mit schnell trocknender Acrylfarbe gefertigt, die danach stattfindende Überlagerung mit realistischen Gegenständen, Pflanzen, Blumen oder Tieren, gestaltet die Künstlerin wiederum mit Ölfarben, sorgfältig geschichtet, mit Lichtpunkten und Lichtreflexen ausgestattet, in altmeisterlicher Technik. Der Kontrast zwischen Flüchtigkeit und Dynamik auf der einen Seite, und einer in sich ruhenden Statik und malerischen Festigkeit auf der anderen macht das Neuartige dieser Bilder aus.
Sepp Hiekisch-Picard, 2015, Kunstmuseum Bochum
Quellen:
Dieter Ronte, Malerische Methode als Option der Wahrheit, in: Ausst.-Kat. „Stephanie Pech. Von den verborgenen Abgründen des Alltäglichen“, Kunsthalle Bielefeld / Stadtmuseum Siegburg 2002 /2003, S. 10
Moritaten vom alltäglichen Leben
Die Malerin Stephanie Pech erzählt Geschichten. Sie handeln vom Leben und vom Tod, von Beziehungen, Befindlichkeiten und Begebenheiten, vom Miteinander und Gegeneinander, kurz, vom Alltag. Nicht in Worte gefasst sind diese Geschichten, sondern in Bilder. Über-Leben lautet der Titel einer Bildergeschichte, Blues der einer anderen. Eine dritte schildert Judiths Tat, jene Begebenheit aus dem Leben einer jungen Witwe zu biblischen Zeiten, die den assyrischen Feldherrn Holofernes, der mit seinen Truppen ihre Stadt belagert, aufsucht, dem trunken schlafenden Mann nach üppigem Mahl mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlägt und so die Stadt vor der Vernichtung rettet. Ganz auf der Höhe unserer Zeit zitiert eine vierte Geschichte das Modewort vom Burning out, dem Zustand totaler Erschöpfung aus hilflosem Leiden an der Überforderung durch eine hektische, ruhelose Welt.
Die Bildergeschichten berichten von Empfindungen und Gefühlen, von Bedrohung, Angst, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit aber auch vom stillen Glück eines geborgenen Daseins, friedlicher Ruhe und Ungestörtheit, von kraftvoller Lebendigkeit. Nichts Menschliches ist ihnen fremd, so scheint es. Wer nun aber nach alten Vorbildern ein Historienbild oder ein Genrebild, den Blick auf eine belebte Szenerie erwartet, wird enttäuscht. Kein Mensch tritt in Stephanie Pechs Geschichten auf. Keine Person verleiht handelnden Charakteren Gesicht und Gestalt, bringt Gefühle und Inhalte zum Ausdruck. Wer sind die Helden dieser Geschichten? In manchen Fällen spielen Meerestiere eine Rolle, Fische und Tintenfische, Krabben und Muscheln. In anderen Geschichten sind Pflanzen oder Teile von Pflanzen die Stars der Szene; Früchte, Samen, Stücke saftigen roten Fleisches sind anwesend. Hinzu gesellen sich mitunter Dinge des alltäglichen Gebrauchs: Teller, Tücher, Glühlampen, Elektrokabel, das Oberteil eines Bikinis. Im oft großen Format der Bilder sind die Dinge vergrößert, monumentalisiert, zu unübersehbarer Präsenz gesteigert. Fast greifbar sind sie aufbereitet im Bild, durch eine Malerei, die ihrer Stofflichkeit sorgfältig Tribut zollt, nicht nur optisch präsent, sondern beinahe körperlich zugegen. Nach der üblichen Kategorisierung der Kunstgattungen sind
diese Bildergeschichten folglich als Still-Leben zu verstehen. An die Stelle des Menschen treten Tiere, Pflanzen, Früchte und Dinge oder Teile von ihnen, die einzeln, zu zweit oder zu dritt, selten in größeren Gruppen, auftreten. Die portraithafte, fast formatfüllende Konzentration auf wenige „Einzelheiten" verleiht den Tieren und Pflanzen, selbst den Teilen von ihnen wie dem Stück Fleisch und dem Bohnenkeimling, beinahe personale Identität, gibt ihnen die
Hauptrolle in der Geschichte. Der Schauplatz ? Nicht immer ist er verlässlich zu erkennen, wenn die Fo-kussierung auf die Dinge keinen Raum lässt und das Bildformat ganz füllt. Dann sind die Dinge, wie in einem Portrait, ganz bei sich und der Schauplatz unwichtig. In anderen Fällen wird der Ort der Handlung deutlich: eine Badewanne, ein Schwimmbecken, die an der Wand eines Raumes angebrachte Heizung, ein mit einem Tuch drappiertes Podest. Die Konstellationen der Tiere und Dinge in den Bildergeschichten ist eigenartig, wirkt oft befremdlich und erregt deshalb Aufmerksamkeit. Wie Zufallsbekanntschaften haben sie sich an ungewöhnlichen Orten zu ungewöhnlichen Gemeinschaften zusammengefunden: Das Bikinioberteil liegt am Rande eines Schwimmbeckens in Gesellschaft dreier Tintenfische, den Drei Grazien. Eine einsame Sardine blickt aus weit offenem, leblosem Auge immer noch sehnsüchtig auf die blau gedruckte Bordüre eines Küchentuches, deren Motiv, zwei Segelschiffe in voller Fahrt, sie allein noch an ihr Lebenselement zu erinnern scheint. Hier aber liegt sie, mit dem Bauch nach oben, auf dem Trockenen, einem gelben Untergrund, der den blutrot gesäumten Schnitt an ihrer Unterseite, die Blutspuren an ihren Kiemen und den blutigen Schatten, den sie auf die hellgelbe Fläche wirft, hervorleuchten lässt. Die Spuren zerstreuen jeden Zweifel, dass sie, fern ihrer eigenen Lebenswelt, nun als Nahrung zubereitet wird. Doch „appetitlich" wirkt die Szene nicht, eher schildert sie die aus der Sicht der kleinen Sardine durchaus unerfreuliche Seite des bevorstehenden Mahles. Auch die Tintenfische am Rande des Schwimmbeckens haben nichts mehr von der Nähe des Wassers. Sie sind gekocht, ihre Arme zusammengezogen und erstarrt und keiner natürlichen Funktion mehr fähig. Sie sind bereits ebenso dem Verbrauch zum Zwecke der Nahrung zugeführt wie die Sardine, vielleicht durch die Frau, der das Bikinioberteil gehört. Von der Garnele schließlich ist nur noch die Schale übrig. Sie liegt, in drei Stücke zerbrochen, neben einem Stromkabel, wie es vielleicht auch dem Kochtopf der Garnelen die nötige Energie geliefert hat.
Eine Scheibe Lachs, bratfertig gewissermaßen, und rote, von weißen feinen Fettadern durchzogene Fleischstücke sind nur noch Teile von Tieren und erinnern den Betrachter des Bildes kaum noch an den lebendigen Träger des Rumpsteaks oder des Schinkenstückes. Es scheint, dass die Geschichten kein Happy End haben. Die Akteure sind bereits tot, in einer Welt angekommen, in der sie fremden Vorstellungen von Verbrauch und Nutzen unterworfen sind, zu ihrem eigenen Verhängnis. Und doch gibt es Geschichten, die von machtvollem Leben erzählen und von unbändiger Kraft. Bohnenkeimlinge entfalten ihre ersten zarten Blätter aus der umschließenden Hülse, ihre Sprossen ertasten wie Fühler die Außenwelt, in der sie jetzt einen sicheren Standort und Nahrungsgrund finden müssten, um zu einer neuen Pflanze heranzuwachsen. Doch das Gewebe aus weiß-blauem
Zellstoff, auf dem der Bohnenkeimling liegt, trügerisch geborgen wie ein Kleiner Prinz, bietet diese Zukunft nicht und die nötige Bodenhaftung zu finden für eine gedeihliche Existenz wird einem anderen auf dem kaltweißen glatten Untergrund nicht gelingen. Auch das saftige Stück Fleisch ist nicht der richtige Ort, um Wurzeln zu schlagen. Aber wenigstens bleibt hier kein Zweifel, worum es geht: Beans and Bacon, nicht von der Zukunft der Bohnen erzählt die Geschichte, sondern von der Vorfreude auf ein schmackhaftes Gericht. Die Anstrengung des Keimens bleibt vergeblich, keine Pflanze wird daraus erwachsen, den Nutzen ein anderer haben.
Sind die Bildergeschichten mit ihrem für die Hauptfiguren so tragischen Ausgang Geschichten zum Gruseln allesamt? In prangendem Kolorit schön erzählte Tragödien? Oft ist ihnen hintergründiger Humor zu eigen, eher ironisch als tragisch, wie in der Geschichte um Judiths Tat, die den Spargel auf dem kostbar wirkenden magentafarbenen Tuch mit den goldenen Rasierklingen den Kopf heben lässt. Oder wie die erzwungene Askese der Sardine auf der gefliesten Küchenablage, der nichts anderes bleibt, als auf des Lebens Fülle im weiten Meer zu verzichten. Der majestätische Aal, portraitiert nach berühmtem Vorbild und deshalb platziert auf kostbarem Brokat, wie ihn einst bei Bellini der Doge Loredano trug, als er sich malen ließ, hat selbst nichts mehr von seiner edlen Erscheinung, verheißt Fremden kulinarischen Genuss. Die Moral der Geschichten? Trotz der „menschenleeren" Szenerien sind dies alles Geschichten vom Menschen. Er ist der Handelnde, ohne selbst anwesend zu sein. Es ist die Welt des Menschen, in der die Dinge und Tiere sich wiederfinden, behandelt nach Maßgabe seines Willens und seiner Bedürfnisse. Die Tiere und Dinge zeigen die Spuren des menschlichen Tuns, das sie tötet, zerschneidet, ihnen Verletzungen zufügt, sie zu- und aufbereitet zum Nutzen des „Täters". Vom Nutzen der Hauptdarsteller der Geschichten ist nicht die Rede. Doch den realistisch erzählten Moritaten fehlt der erhobene Zeigefinger. Sie klagen nicht an, sie sind nur einfache unspektakuläre Feststellungen alltäglicher Situationen, die jedem Betrachter geläufig sind. Aber der Anschein der Gewohnheit täuscht, denn diese Bilder sind Momentaufnahmen aus einem anderen Blickwinkel, aus der Sicht der Dinge und Tiere gewissermaßen, die, selbst tot, zum „Lebensmittel" verarbeitet werden. Ihre Rolle ist passiv, sie handeln nicht, sie werden behandelt. Durchaus ordnungsgemäß, möchte man sagen, so, wie es üblich ist: Tiere werden zu Fleischstücken verarbeitet, Fische ausgenommen und gekocht; es ist das Alltagsgeschäft des Menschenlebens, sich die Nahrung zuzubereiten.
Gewöhnlich übersieht man bei diesen Alltagsverrichtungen die Interessen der „Gegenseite", geht es doch nur um den eigenen Nutzen. Die Eigenart der Tiere und Dinge spielt keine Rolle. Sie sind Objekte und dem Tun der Subjekte
unterworfen. In Stephanie Pechs Geschichten aber geht es um sie, werden sie selbst zu Subjekten, und nun wird offenkundig, was ihnen geschieht. Der Blick auf das anscheinend normale Geschäft des Tages irritiert. Das alltägliche Tun des Menschen wird ambivalent, vielleicht mitunter fragwürdig, vielleicht macht auch die humorvoll erzählte Geschichte aufmerksam auf bislang Unbedachtes, vielleicht regt sie zum Nachdenken an. Unübersehbar jedenfalls ist hier die „andere Seite" des allgemein Üblichen. Und die Sache ist ernst: Spiegelt doch das stille Leben der Dinge sehr genau die Welt des Menschen.
Jutta Hülsewig-Johnen, 2002 Kunsthalle Bielefeld
Malerische Methode als Option der Wahrheit
Stephanie Pech betreibt ihren malerischen Realismus im Sinne der kritischen Methode. Sie sucht nicht das Trompe-l'oeil, die Augentäuschung; sie idealisiert aber auch ihre Bildgestalten nicht. Sie hinterfragt sie kritisch, indem sie z.B. die Situationistik verändert. Sie sucht den Gegenstand, bringt ihn in eine andere Situation und setzt ihn somit einer fast surrealen Befragung seiner selbst aus. Zugleich malt sie Bilder, die von großer Erregung und Energie sind und zugleich wie Metaphern des Lebens und damit der Menschen in diesem Leben agieren. Kein Bild ist „von des Gedankens Blässe angekränkelt“ (Shakespeare); zu übermächtig ist Vitalität präsent.
Kein Gegenstand sieht im Bilde so aus wie er in Wirklichkeit gesehen wird. Dennoch ist er erfühlt und ertastet, exakt studiert, um im Bild jene Dimensionen anzunehmen, die ihn zwischen Leben und Tod, zwischen Liebe und Einsamkeit ansiedeln.
Die Wahrheit durch Malerei bricht sich im Format des blow ups eigene Bahnen. Die malerische Methode wird zur Option der Wahrheit. Deshalb beziehen die Bildtitel sich nur indirekt auf die Darstellung; zumeist sind sie eine dialektische, vielleicht ironische Zutat. Der Betrachter muss aufpassen, wenn er sich mit oder ohne Bildtitelvertrautheit den Bildern nähert. Sie versprechen zunächst etwas anderes, als sie später vertieft beinhaltend einhalten.
Ein Spargel auf einem roten Tuch mit dem Muster von Rasierklingen ist zwar ein Stillleben, eine ‚nature mort‘, wie man in den romanischen Ländern sagt, ist aber auch zugleich Altes Testament. Das Bild heißt Judiths Tat. Das Porträt eines Aals zeigt den langgestreckten Aal vor blauem Hintergrund auf einem Tuch, das aus Bellinis Dogenbild Loredano stammt.
So können alle Bildtitel zusammen Geschichten erzählen, die Bilder mit Geschichten hinterlegen, ohne dass die Bilder von narrativer Natur sind. Ophelia ist ein Oberteil eines Bikinis im Becken, in der Badewanne; Krabbenfrieden heißt die Krabbe in einer Badewanne auf den Abfluss zuschreitend; verborgene Horizonte zeigt ein gleiches Thema; Holländisches Stillleben zeigt die Muscheln auf einem Teller mit Delfter Kacheln usw., usw.
Die Bilder sind nicht einfach gemalt oder aus dem Bauch heraus geschleudert mit der Perfektion einer realistisch begabten Malerin, sondern langsam gefundene, erarbeitete Konstrukte, die ebenso vom Kopf bestimmt sind wie von der malerischen Neugier.
Viel Kunstgeschichte ist in den Bildern wiederzufinden, viele unverhoffte Sehweisen von schon bekannten Gegenständen tauchen in einer neuen, intellektuellen Präsenz wieder auf. Dieser Realismus einer neuen Situation für bekannte Themen – immer ohne den Menschen – wird zur metaphorischen Folie menschlicher Existenz.
Die Künstlerin sucht die Schönheiten des Lebens dort, wo sie zur Metapher des Todes werden. Die Abbilder agieren immer im möglichen Finale ihres Daseins. Immer sehen diese Gegenstände sozusagen lecker aus. Sie sind ansprechend. Zugleich aber entziehen sie sich der schnellen Bewunderung, agieren sie beim Betrachter mit immer größer werdender Nervosität, die den Betrachter erfasst und ihn seinerseits nervös werden lässt. Er muss sich deshalb aktiviert in die Rezeption einklinken. Er beginnt, eigene Erfahrungen und Sinne zu kontrollieren.
D.h. die Bilder stellen nicht nur dar, bilden nicht nur ab, sind nicht nur handwerklich gelungene Mimesis, sondern gehen über ihren reproduzierenden Charakter hinaus, sie agieren unendlich. Sie sind stärker als das Bewusstsein der Rezipienten. Die Größe der Bilder ist dabei ebenso entscheidend wie die Stärke der farbigen Kontraste des unglaublich farbigen Zusammenspiels in den Bildern, indem sich die Farben weit von der sogenannten Hautfarbe, von der erklärenden Farbe des Gegenstandes selbst entfernen. Abstrakte Elemente spielen eine große Rolle. In den Bildern wird die Gestaltfarbe, so nannte E.W. Nay seine farbigen Formen, wieder zur Realfarbe. Ein neues Spiel beginnt zwischen Form und Farbe.
Stephanie Pech überschreibt eine alte Tradition mit Heftigkeit in die Zukunft. Sie wendet sich mit ihren Darstellungen an die Wirklichkeiten selbst. Ihr Realismus ist nicht Spiel, sondern Methode. „Realismus ist nicht, was sich säuberlich klassifizieren und dann ad acta legen lässt“, schreiben die Literaturhistoriker Reinhold Grimm und Jost Hermand in ihrem Buch „Realismustheorien“, 1975 (zitiert nach: Ausstellungskatalog, Als guter Realist muss ich alles erfinden, Hamburg, 1978/79, S. 6): „Das beunruhigende am Realismus ist nämlich, dass er weder rein inhaltlich noch rein formal zu fassen ist, sondern eine ganz spezifische Dialektik enthält, die auf den Aufnehmenden unmittelbar zurückwirkt. Er schöpft nicht nur aus der
Wirklichkeit, sondern er wendet sich auch an diese Wirklichkeit; er wird von ihr bewirkt und wirkt zugleich auf sie ein.“
So entstehen großflächige psychische Empfindlichkeiten als gemalte Metaphern. Festen Formen stehen Farbkontraste gegenüber. Beide zusammen lassen eigene Atmosphären entstehen.
Das Thema zwingt die Künstlerin zum Arbeiten, d.h. Malen. Sie tut dieses ausgesprochen gerne. Sie leibt das Handwerkliche. Sie sucht die Anregungen aus malenden Momenten heraus, ohne dass die Malerei beim Malen entsteht, so wie es Kleist von den Gedanken beim Reden formuliert hat. Die Themen sind erfunden. Die Malerei ist konzeptionell. Viele Motive werden über das Foto gefunden, werden gezeichnet, erarbeitet, bis sich eine Lösung anbietet, die auf der Leinwand Wirklichkeit werden kann.
Ein Medienwechsel ist für Stephanie Pech nicht möglich, denn es geht ihr um das Malen. Farbschicht um Farbschicht wird aufgetragen, bis das Bild seine letzte Form gefunden hat. Ein traditioneller, ganz fast akademischer Vorgang. Aber die Inhalte sind neu und anders. Im Hintergrund winken die Belgier René Magritte und Marcel Broadthaers. Jeder Gegenstand ist bekannt, der Betrachter hat auch schon viele dieser Gegenstände in eigene Gemütszustände gesetzt, z.B. den Tintenfisch, den Pulpo. Doch sie gewinnen auf den Leinwänden als Themen neue Aussagebindungen.
Stephanie Pech schafft mit ihren Werken bildnerische Wahrheiten, die auf die Wirklichkeiten abstrahlen und sie verändern. Die Erfahrungen mit den Malereien lässt die Unschuld der dargestellten Gegenstände verblassen. Dafür gewinnen sie die ungeahnte bildimmanente Strahlkraft einer verantworteten ästhetischen Existenz. Die Wirklichkeit wird zur malerischen Methode als einer Option von Wahrheit.
Dr. Dieter Ronte, Bonn, Mai 2002, Kunstmuseum Bonn